von Mathias Stahl, Stellv. Fraktionsvorsitzender
Der Stadtrat Freiberg hat am 13.01.2022 zum Abwahlantrag bezüglich des Beigeordneten Reuter zu entscheiden. Nach § 56 (4) Sächsischer Gemeindeordnung (SächsGemO) ist eine Aussprache des Rates vor der Beschlussfassung aus Gründen zum Schutz der Person nicht gestattet. Gleichwohl ist die Abstimmung von öffentlichem und überregionalem Interesse.
Ich nehme daher an dieser Stelle die Gelegenheit wahr, meine Entscheidungsfindung und Abstimmverhalten öffentlich zu erläutern:
Grundlage des Abwahlantrages ist ein Zitat des Beigeordneten in der FAS vom 12.12.21 als Privatperson zum Thema „Corona und Montagsspaziergänge“, wo dieser einen Vergleich erwähnt, welcher den Druck auf Ungeimpfte, sich impfen zu lassen, mit dem Genozid an Armeniern im Osmanischen Reich nahelegt. In Folge der anschließenden Diskussion wäre ein massiver Schaden für das Image der Stadt entstanden. Zudem entsprächen diese Äußerungen nicht gängigen Wertevorstellungen und wäre nun mit dem Abwahlantrag im Stadtrat verantwortungsvoll zu klären.
In einer späteren Stellungnahme des Beigeordneten wird dieser Vergleich bedauert, da der Genozid eine politisch motivierte Verfolgung gewesen und mit dem Handeln der Verantwortlichen in einer Pandemie nicht gleichzusetzen sei.
Die Abwahl eines Wahlbeamten ist nach SächsGemO nicht an sachliche Voraussetzungen gebunden, sondern kann auch in Folge von Vertrauensverlust als politisch begründete Abwahl erfolgen, was nun geschehen soll. Infolge dessen ist der Vorgang, im Kontext der Corona-Situation, auch politisch zu bewerten.
Ich bin gleichfalls der Meinung, daß der Vergleich mit einem Genozid sehr unpassend ist. Generell sollte bei der Bewertung von aktueller Politik auf historische Vergleiche verzichtet werden. Eine Diskussion darüber dreht sich nur im Kreis und verhindert nur die Lösung wichtiger Fragen und Problemstellungen (siehe folgendende Links: [1], [2], [3] und [4]).
Vielmehr wird die mediale Empörungskultur deutscher Medien aktiviert; es wird mit Artikeln, Kommentaren, Leserbriefen etc. psychologischer Druck auf Bürger, Entscheidungsträger u.a. aufgebaut um Beschlüsse in einem gewissen Sinne zu beeinflussen. Diese Methoden sind einer Demokratie unwürdig. Man kann dem Beigeordneten daher fast dankbar sein, mit seinem Vergleich diese Mechanismen wie unter einem Brennglas in Freiberg vorzuführen.
Vor diesem Hintergrund sind nun die persönlichen Aussagen des Beigeordneten zu gewichten:
Meiner Meinung nach geht es derzeit um viel mehr als nur das Image der Stadt sondern um elementare Grundrechte in Deutschland. Das Außenbild der Stadt ist in diesem Kontext geradezu irrelevant.
Demokratie und Rechtsstaat leben von freier, auch unpassender, Meinungsäußerung und Diskussion ohne Stigmatisierung und Diffamierung der Person sowie der Achtung von Grundrechten.
Denn ist z.B. ein Staat, welcher das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit seiner Bürger, die eigene Entscheidungsgewalt über seinen Körper trotz staatlichem Tötungsverbot aufhebt bzw. aufheben möchte nicht schon auf dem Weg ins Totalitäre? (siehe [5]).
Den Beigeordneten nun in Folge seiner persönlichen Meinungsäußerung zu Corona abzuberufen hieße, sein Eintreten für diese Rechte beruflich zu bestrafen sowie diese Rechte selber aufzugeben.
Die fachlichen Eignungen des Beigeordneten für das Sachgebiet Stadtentwicklung und Bauwesen sind weiterhin unbestritten und bei derzeitiger Personallage unersetzbar.
Ich werde in der Eigenschaft als Stadtrat daher meine gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und für einen Verbleib des Beigeordneten Reuter in seinem Amt stimmen.
Freiberg hat nun die Chance dem Druck veröffentlichter Meinung zu widerstehen, eine einseitig gewünschte Abwahl zu verhindern und diesen Kreislauf politischer Unkultur in Deutschland zu durchbrechen.